Mini-Handbuch Gruppendynamik

Olaf Geramanis zeichnet in diesem Buch nach, inwieweit das Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe widersprüchlich ist und warum gerade in diesem unauflösbaren Spannungsfeld die besondere Chance für die Zukunft liegt.

Auf dem Weg dorthin gibt es keine einfachen Rezepte, aber viele Zutaten. Grafiken und Beispiele aus der Berufs- und Alltagswelt verdeutlichen die Ausführungen.

Deckblatt mini-handbuch Gruppendynamik

Aktuell erleben wir ein Revival der Gruppendynamik. Denn wie sollen Einzelne die ganze Komplexität verarbeiten, mit der die Welt konfrontiert ist? Das geht nur in der Gruppe. Aber: Gruppen können diese Kraft nur entfalten, wenn sich ihre Mitglieder aus eigenem Antrieb engagieren – freiwillig, ohne hierarchische Kontrolle. Damit das gelingt, ist ein tiefes Verständnis der Gruppendynamik unerlässlich.
Olaf Geramanis liefert dafür die Grundlagen:
• Das Individuum auf dem Weg in die Gruppe
• Die Gruppe und ihre Gruppenprozesse
• Die Organisation und ihr Einfluss auf die Gruppenprozesse

Die drei Prinzipien der Gruppendynamik

Gruppendynamik fängt dort an, wo alle Handlungen ihren Ausgang nehmen: beim Individuum. Das In-dividuum steht, wie der lateinische Begriff es sagt, für das Unteilbare. Es ist die kleinste Einheit jeder Gruppe. Wir gehen davon aus, dass ein Individuum in der Lage ist, Entscheidungen frei zu treffen. Erst auf Grundlage dieser Entscheidungsfreiheit ist es möglich, individuell Verantwortung zu übernehmen, sich frei für oder gegen eine Gruppe zu entscheiden und Kooperation als freiwillige Zusammenarbeit zu erleben.

Obgleich wir dem Individuum Entscheidungsfreiheit unterstellen, gehen wir in einem zweiten Schritt davon aus, dass es den Kontakt zu anderen Individuen nicht nur aktiv sucht sondern auch braucht. Über diesen Antrieb, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten, entstehen Kooperationen. Unter dieser Perspektive wird das Individuum zu einem «Individuum-In-Gruppe». Es muss sich mit anderen abstimmen und gehört sich fortan nicht mehr allein. Die Frage zentrale lautet: Wie ist Zusammenarbeit in der Gruppe möglich, wenn die eigenen individuellen Freiheitsgrade durch die anderen beschränkt werden?
In einem dritten Schritt gilt es, die Perspektive zu wechseln. Wir verlassen das Individuum und die individuelle Sichtweise und schauen darauf, wie Gruppen als Ganzes funktioniert. Nun gleicht das Zusammenspiel der Gruppe einem Räderwerk. Das Individuum verschwindet in seiner Einzigartigkeit und Wahlfreiheit. Es wird zum Einzelteil in einem größeren Gefüge. Aus dieser Perspektive können wir die Beschränkungen in den Blick nehmen, die die Gruppe notwendigerweise den Individuen auferlegt. Nun können wir prüfen, wie Selbstorganisation als ein Steuerungsmodus etabliert und auf Dauer gestellt werden kann.
Damit haben wir die drei wichtigsten Grundsätze skizziert, die das Prinzip Gruppendynamik umschreiben:

  1. Der Mensch verfügt als Individuum über prinzipielle Wahlfreiheit, er ist in der Lage, absichtsvoll zu handeln.
  2. Er ist als Individuum-in-Gruppe ein abhängiges und grundsätzlich kooperatives Wesen, er braucht und sucht die Nähe zu anderen Menschen und Gruppen.
  3. Gruppen tendieren zu einem restriktiven Gleichgewichtsmodell, darin ist die individuelle Wahlfreiheit aufgehoben.

Diese drei Grundsätze stellen das Prinzip Gruppendynamik dar, und sie beschreiben sie den grundlegenden Wesenskern der Gruppendynamik: Das Verhältnis von Individuum und Gruppe ist von Grund auf an zwei Übergängen (1. Fokus und 2. Fokus) spannungsreich und widersprüchlich. In diesem Widerspruch liegt das unauflösbare Spannungsfeld der Gruppendynamik begründet. Dies dieses unauflösbare Spannungsfeld gilt es aufrecht zu erhalten! Es darf nicht zugunsten einer Seite entschieden werden: Erst diese Unvereinbarkeit macht die Spannung und Kraft von Gruppen aus.

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