FAQ Gruppendynamik

«Reifer werden heisst schärfer trennen und inniger verbinden.»
Hugo von Hofmannsthal

Gruppendynamik bedeutet vor allem die Kultivierung von Unterschiedlichkeit. Insofern ist Gruppendynamik viel weniger eine Methode als eine Haltung. Es bedeutet, sich immer wieder aufs Neue fragend und neugierig sowohl dem Fremden als auch dem fraglos Funktionierenden zu nähern. Dazu benötigt es die «Fähigkeit zum Perspektivenwechsel», d.h. zur Empathie. Und es ist mit der starken Zuversicht verbunden, dass Gruppen auch unter schwierigsten Umständen Willens und in der Lage sind, sich selbst zu organisieren und zu steuern.

Die folgenden Statements von Olaf Geramanis geben in Frage- und Antwortform einen vertieften Einblick in den gruppendynamischen Ansatz, der im Rahmen unserer Trainings vertreten wird:
(alle Rechte beim Autor)

1. Der gruppendynamische Ansatz

  • Wörtlich handelt es sich um die Kraft der Gruppe. Aber was ist das für eine Kraft, wie äussert sie sich und warum ist sie so wichtig?
  • Eine Gruppe besteht aus mindestens 3 Personen. Ab dieser Anzahl kann es zu wechselnden Koalitionen kommen. Das Bündnis von Zweien, macht den Dritten zum Aussenseiter. Derartige Bündnisse können bedrohlich werden, wenn Menschen ernsthaft aufeinander angewiesen sind und etwas miteinander tun müssen, sei es in der Arbeit oder auch im Privaten.
  • Daher sind Gruppenentwicklungsstufen ständige Prozesse von Sympathie- und Antipathie-Bekundung, von Ausschluss und Integration von Aussenseitern, sowie von Einflussnahme von bzw. Widerstand gegenüber Autoritäten. Diese Prozesse finden meist im Hintergrund statt, d.h. jenseits des offiziellen Themas. Dennoch wird eine Gruppe erst dann erfolgreich kooperieren, wenn die Bearbeitung auch dieser Themen möglich ist und die Unterschiede zwischen den Mitgliedern weder ignoriert, noch nivelliert, sondern in die Gruppe integriert werden.
  • Damit ist Gruppendynamik jegliche Beziehungsdynamik, die sich im Zusammenhang mit der Bildung, dem Fortbestand und dem Abschluss von Gruppen ergibt. Oder anders gesagt:«Gruppendynamik ist wie Wetter – es findet immer statt …»

Eine gruppendynamische Haltung zeichnet sich durch drei Merkmale aus:

  • Erstens bedeutet es, sich immer wieder aufs Neue mithilfe eines «forschenden Auftretens» fragend und neugierig sowohl dem Fremden als auch dem fraglos Funktionierenden zu nähern. Dies beinhaltet eine kritische Zurückhaltung gegenüber sich schnell aufdrängender Offensichtlichkeit und dogmatischer Wahrheit.  
  • Zweitens braucht es die «Fähigkeit zum Perspektivenwechsel», d.h. zur Empathie. Nach Arno Gruen verleiht die Fähigkeit zur Empathie dem Menschen eine Art Immunität gegen das Unmenschlichsein. Man versetzt sich in die Rolle und Position eines anderen und versucht den Sachverhalt aus dessen subjektiver Sicht zu sehen. So erhält man eine unmittelbare Idee von möglichen Gefühlszuständen und kann dadurch emotionale Antriebs-Kräfte und andere Reaktionen besser begreifen.
  • Drittens ist mit einer gruppendynamischen Haltung die starke Zuversicht verbunden, dass Gruppen auch unter schwierigsten Umständen Willens und in der Lage sind, sich selbst zu organisieren und zu steuern. Diese Zuversicht der Gruppe gegenüber ist unmittelbar mit der Fähigkeit zur konsequenten Zurückhaltung im Tun gekoppelt: «so viel wie nötig – so wenig wie möglich intervenieren.»
  • In der Arbeitsmedizin gibt es den «Work Ability Index – WAI» (Arbeits-Fähigkeits-/ -Bewältigungsindex). Er definiert, inwieweit ein Arbeitnehmer in der Lage ist, seine Arbeit zu erledigen angesichts der Arbeitsanforderungen einerseits, sowie der Gesundheit und der mentalen Ressourcen andererseits. Ein WAI steht immer für das Ausmass der Übereinstimmung dieser beiden Komponenten.
  • Aus einer gruppendynamischen Perspektive heraus ist eine Team dann arbeitsfähig, wenn erstens die Aufgabe eine wirkliche Teamaufgabe ist, zweitens die Mitglieder individuell den Anforderungen gewachsen sind und drittens, wenn dem Team zusätzlich gruppenspezifischen Ressourcen zur Verfügung stehen!
  • Dies bedeutet, dass das Team eine Kultur im Bearbeiten der folgenden fünf Themen entwickelt haben muss: (1) Führung, (2) Entscheidungsprozesse, (3) Kooperation innerhalb der Gruppe und nach aussen, (4) Kommunikation, Informationsaustausch und Feedbackkultur, (5) Umgang mit Konflikten. Erst wenn eine Gruppe über diese fünf Themen und drei Ebenen hinweg eine gemeinsam geteilte soziale Wirklichkeit erzeugt hat, ist sie arbeitsfähig.
  • In Organisationen herrscht die Meinung, dass (vor allem negative) Gefühle, die Arbeit nur stören. Dennoch spielt die Beziehungsebene und die damit verbundenen Gefühle eine zentrale Rolle: Es geht um Zugehörigkeit, Anerkennung, Akzeptanz, Ablehnung, Sympathie und Antipathie.
  • Der prekären Ruf der Gruppendynamik geht auf den Versuch der 1970er Jahren zurück, sie als blossen Widerspruch zum inhaltlich-sachlogischen Establishment darzustellen. In der Inszenierung einer Unmittelbarkeits- und Spontaneitätskultur, trat das Bauchgefühl als Widerpart gegen die Rationalität an. Es bestand die scheinbare Verpflichtung, fortwährend über Empfindungen zu sprechen, als wollte man im Treibhaus der Gefühle sehnsüchtig Intensität und Intimität erleben. Der Nutzen und die reale Verwertbarkeit der Gruppendynamik kam dabei nicht zur Sprache.
  • Über Gefühle zu sprechen, ist jedoch etwas anderes als Gefühle zu haben. Sie sind eben nicht nur etwas zutiefst Individuelles. Zwar treten Gefühle in den Individuen auf, dennoch sind sie nur selten individuell verursacht. Konkret heisst das: wenn ich in einer Gruppe bin und bemerke, dass meine Gefühle (wie Konkurrenz, Eifersucht, Langeweile aber auch Zufriedenheit) nicht nur meine ureigene Sache sind, sondern dass alle anderen diese genauso nachvollziehen können, dann bin ich gegenüber meinen Gefühlen nicht autonom! Dann ist es auch nicht mehr meine alleinige Aufgabe, mit «meinen Gefühlen» fertig zu werden, sondern sie bekommen den Ort zurück, der sie entstehen lassen hat: Die Gruppe. Und erst dort werden sie thematisierbar und bearbeitbar.

2. Gruppendynamik und gruppendynamische Trainings

  1. Wie erlebe ich mich selbst in Gruppen und wie nehmen andere mich wahr? (Selbst- und Fremdwahrnehmung)
  2. Wie intensiv oder distanziert nehme ich Beziehungen zu anderen auf und gestalten diese? (Balance von Nähe und Distanz)
  3. Welche typischen Positionen und Rollen bekleide ich in Teams und wie wirken sich diese aus? (Rollenflexibilität)
  4. Wie klar kann ich meinen Standpunkt gegenüber anderen verständlich machen und inwieweit bleibe ich auch in schwierigen Situationen präsent und ansprechbar (Adäquate Ausdrucksfähigkeit und emotionale Stabilität)
  • Neben den individuellen Lernzielen, erfährt man in einem Training was die Bedingung für die Selbststeuerungsfähigkeit von Gruppen ist: Es geht um das Erreichen von «bewusster Kollektivität» über den Weg der gemeinsamen Selbstvergewisserung. Damit verläuft der Weg der Selbststeuerung von Gruppen vor allem über Selbst-Diagnose: Die Gruppe muss sich darüber klar werden, wo sie als Gesamtgruppe steht, was sie bestimmt, antreibt, zögern und starrer werden lässt, was sie davon beibehalten und was sie verändern will.
  • Da eine Gruppe aber nicht sprechen kann, müssen die Mitglieder die Fähigkeiten erwerben Gruppenprozesse zu beobachten, zu erkennen und sie zur rechten Zeit zu benennen; um in einem zweiten Schritt diese je individuellen Beobachtungen mit anderen Wahrnehmungen zu einer gemeinsamen Sichtweise zu verdichtet. Darüber kann in der Gruppe als Ganzes ein kollektiven Selbstbewusstseins entstehen.
  • Nicht einzelne Individuen, Autoritäten, Situationen, bewusstlos gehaltene Normen, Muster, Affekte etc. sollen Gruppen bestimmen, sondern diese sich selbst und insgesamt aus dem jeweils erworbenen Bewusstsein dessen, was sie als Gesamtgruppe sind.
  • Der zentrale Lernort, um gruppendynamische Kompetenzen zu erwerben, ist die Trainingsgruppe (auch: T-Gruppe oder TG genannt). Die Lernmöglichkeiten bestehen in einem ersten Schritt darin, die Fähigkeiten zu erwerben Gruppenprozesse zu beobachten, zu erkennen und sie zur rechten Zeit zu benennen. In einem zweiten Schritt kommt es darauf an, all dies nicht nur für sich allein zu tun, sondern die individuellen Beobachtungen mit den Wahrnehmungen der anderen zu einer gemeinsamen Sichtweise zu verdichten.
  • Das ist sehr komplex, wenn man bedenkt, was in einer Gruppe alles gleichzeitig passiert: Nicht nur Einzelpersonen agieren, sondern auch die Gesamtsituation, Normen, Affekte etc. spielen mit hinein. Um all dies bearbeiten zu können, muss die Gruppe ein Bewusstsein über ihre eigene Kultur entwickeln, d.h. sie muss herausfinden «wie sie tickt».
  • Insbesondere wenn sich eine Gruppe neu bildet, kann erst im Prozess der Gruppenfindung ein Bewusstsein dessen erworben werden, was man als Ganzes sein könnte: Die Hauptaufgabe der Trainingsgruppe besteht also darin, dass sich die Gruppe immer wieder fragt: wo stehen wir, was bestimmt uns, treibt uns an, lässt uns zögern und was davon wollen wir, dass es so bleibt und was wollen wir verändern?
  • Daher hat eine Trainingsgruppe auch keine weiteren «Aufgaben». Über den Aushandlungsprozesse  selbst entsteht ein gemeinsames Gruppen-Bewusstsein, das die Voraussetzung für eine künftige Selbststeuerung ist.
  • Ja, das ist so! Früher hiessen Trainings auch Laboratorien: Wie unter Laborbedingungen werden in der T-Gruppe zunächst fremdbestimmte Zwecke und Ziele ausgeschlossen. Die übliche Realität der Zielfixierung existiert nicht mehr. Die Gruppe muss keinen offiziellen Auftrag erfüllen, ausser sich im Hier und Jetzt mit sich selbst zu beschäftigen.  Das hört sich paradox an, denn womit genau soll man sich beschäftigen, wo es doch keinen eigentlichen Auftrag gibt?
  • Indem die üblichen Ausreden und Fluchträume der Mitglieder beschränkt werden, können die Gefühle und die Selbstbetroffenheit, die sowieso immer in Gruppen existieren, bewusst werden. Jetzt kann die Gruppe zum Bewusstsein dessen gebracht werden, was sie von ihrem Beziehungsgefüge her ist. Die Fragen lauten: wo herrschen Sympathien und Antipathien, wo sind Koalitionen, Cliquen und Seilschaften und wo gibt es persönliche Unvereinbarkeiten.
  • Diese gern als «Soft-Faktoren» bezeichneten Dynamiken, stellen sich im Nachhinein als die eigentlich «harten Stolpersteine» in Organisationen heraus.  Denn all diese Gruppen-Prozesse laufen nicht nur im Labor sondern immerfort ab, meist allerdings unsichtbar auf der «Hinterbühne».  D.h. Gruppen verfügen immer über ein emotionell wirksames Beziehungsgefüge, welches kraftvoll auf sie zurückwirkt.
  • Da Gruppen als Ganzes ja nicht sprechen können, führt der Weg, um den Zusammenhang von individuellen Gefühlslagen und den Konstellationen der Gruppe zu erfahren, nur über die eigene Selbstbetroffenheit. Auf diese muss man sich einlassen und sie gegenüber anderen ansprechen. Das ist emotional sehr herausfordernd, denn es verlangt etwas von den Mitgliedern ab, was sonst nur selten explizit thematisiert wird.
  • Um sich dieser Erfahrung, die wir immer wieder aufs Neue erleben, bewusst zu werden, ist eine T-Gruppe absolut echt und hart am Leben.
  • Noch vor 30 Jahren war es für Führungskräfte undenkbar  über Gefühle wie Angst und Überforderung zu sprechen, und persönliche Berührtheit kann etwas sehr Intimes haben. Aber auch wenn das Ansprechen von Emotionen heute erlaubter und nicht mehr so ungewohnt ist wie früher, haben wir wenig Übung darin.
  • Dennoch geht es weder um ein Schwelgen in Emotionalität als Selbstzweck noch um Seelenstriptease. Im Gegenteil: Wenn Mitglieder auf einem Training lediglich narzisstisch aus ihrer Vergangenheit oder aus reiner Lust am Experimentieren irgendetwas erzählen, dann langweilen solche Erzählungen sehr schnell (nicht nur im Training!).  In Gruppen herrscht nämlich nur dann eine gemeinsame geteilte Aufmerksamkeit und Spannung, wenn es um solche Dynamiken und Gefühlslagen geht, die das aktuelle Beziehungsgefüge der Gesamtgruppe betreffen. Für Berichte, die nicht an das aktuell-emotionale Geschehen der Gesamtgruppe angeschlossen sind, fühlen sich die übrigen Mitglieder nicht als Mitverursacher zuständig. So können individuelle Gefühle ohne Brücke zur Situation schnell sentimental und unecht wirken.
  • Als Fazit kann man sagen: Ich bin erst dann in Gruppen wirksam, wenn es mir gelingt, über mein subjektives Empfinden hinweg einen Zusammenhang zu der sozialen Situation der Gruppe herzustellen und dies adäquat zu äussern.
  • Tatsächlich gibt es ein doppeltes Risiko in Gruppen wirkungslos zu sein: Entweder empfindet man nur «sehr individuell», d.h. das Gefühl, das man gerade in sich wahrnimmt, entspringt vor allem der eigenen Verfasstheit und den eigenen Lebensthemen und spiegelt damit nur in sehr geringem Masse die Stimmung der Gruppe wider; oder man nimmt zwar die zentrale Stimmung der Gruppe «richtig» wahr, aber die Gruppe selbst ist noch nicht so weit, dem Thema adäquat zu begegnen.
  • Man nimmt bspw. einen Fall von Aussenseitertum oder Machtkampf wahr, aber das Thema ist aktuell zu brisant um öffentlich angesprochen zu werden, weil die Befürchtung besteht, dass daran die ganze Gruppe zerbrechen könnte.
  • Im ersten Fall schämt man sich vor den anderen, weil man sich in seiner Individualität blossgestellt fühlt; man ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und kann nicht an die anderen anschliessen. Im zweiten Fall schämt man sich vor sich selbst, weil man einfach so die Gefühlsdynamik einer ganzen Gruppe wahrnimmt, und darüber in einen Gefühlsstrudel gerät. Man ist nicht mehr «Herr/Frau im eigenen Haus» – und kann es noch nicht einmal adäquat in der Gruppe bearbeiten.
  • Beides ist riskant und kann als Ohnmacht und Kontrollverlust erlebt werden. Und wer dennoch angeblich souverän und enttabuisiert über seine Gefühle spricht, bedient sich meist nur einer weiteren Form der Abwehr: Tollkühnheit und Schamlosigkeit sind die besten Mittel, sich gar nicht mehr auszuliefern. Die Paradoxie bleibt: Selbstreflexion ist immer mit Distanz und Zweifel verbunden – also unsouverän.
  • Das Hier und Jetzt ist die Hauptquelle der gruppendynamischen Arbeit und der beste Freund des Trainers. Das Hier und Jetzt bezeichnet die unmittelbaren Vorgänge in der Trainingsgruppe, das, was hier (in dieser konkreten Beziehung, in dem Raum zwischen mir und meinem Gegenüber) -und jetzt (in genau dieser Sitzung) geschieht. Damit geht es nicht um die Vergangenheit der Teilnehmenden oder Ereignisse aus ihrem sonstigen Leben, ohne dass deren Bedeutung negiert wird.
  • Die Arbeit mit Gruppen im Hier und Jetzt ist immer spannender als eine Arbeit mit eher abstrakten oder vergangenheitsbezogenen Themen. Erstens, weil alle Beteiligten gleichermassen wahrnehmen, teilhaben und mitverantwortlich sind, für das, was geschieht und zweitens weil niemand den Anderen gegenüber eine Deutungshoheit aufgrund «umfangreicheren Wissens» beanspruchen kann.
  • So wird alles das, was für uns wirklich bedeutsam ist, früher oder später sowieso im Hier und Jetzt der aktuellen Beziehungen auftauchen. (Wenn ein Teilnehmer Probleme mit Autorität hat, ist es nicht nötig, seine berufliche Geschichte zu hören, sondern im Verlaufe des Trainings wird es sicherlich Situationen mit Autorität geben, die vergleichbare Reaktionen auslösen.) Und durch diese unmittelbare und persönliche Interaktion im Hier und Jetzt, kombiniert mit Beobachtung und Analyse dieser Interaktion, lernen wir am meisten über uns selbst und unser Verhalten.
  • Die beste Feedbackregel lautet: «Du kennst mich nicht? Also gib mir auch kein Feedback!» Feedback geben ist nicht das mechanische Anwenden einer Methode, sondern eine Beziehungsaussage, in der der Sender mehr von sich selbst preisgibt, als er über den Empfänger urteilt. Ein solches Feedback ist keine objektive Wesensaussage, ob das Gegenüber etwas richtig oder falsch gemacht hat. Es ist eine rein subjektive Wahrnehmung des Feedbackgebers, die das Beschriebene erst erzeugt, verhärtet oder auch verändert.
  • Indem diese Beobachtungen als Beschreibungen offengelegt und dadurch auch infrage gestellt werden, kann sich sowohl der Feedbacknehmer Gedanken über seine Wirkung machen, die er auf andere hat, als auch über seine Beziehung zum Feedbackgeber selbst nachdenken. Beide Male können Veränderungen stattfinden.
  • Somit geht es beim Feedback nicht um Objektivität oder Wahrheit, sondern um Differenzierung, sowie um Neugier und Intuition. Es geht darum, in der Auseinandersetzung mit meinem Gegenüber, die eigene Wahrnehmung und Haltung mutig offen zu legen und zur Verfügung zu stellen – kurz gesagt: Mit meinem Gegenüber in Beziehung zu gehen, um darüber ein gemeinsames Bewusstsein zu erreichen.
  • Neu zusammengesetzte Gruppen benötigen mindestens 5 Tage für einen derartigen Lernprozess, weil es viel Zeit braucht, bis all die komplexen Rückkoppelungsprozesse wahrgenommen und verstanden werden können. Alle Versuche mit gruppendynamischen Trainings unter 5 Tage zu gehen, sind mehr oder weniger gescheitert, d.h. die Gruppe hat es nicht geschafft, zu einer Form der Selbstorganisation und Selbststeuerung zu finden.
  • Der Hauptgrund dürfte wohl darin liegen, dass die Selbstfindung der Gruppe nicht ohne Krisen möglich ist. Die zentrale Frage lautet daher, wann sind die Mitglieder willens und bereit, sich auf Differenzierung und damit auf Konflikte einzulassen. Gibt es doch eher eine Tendenz, Konflikte auszusitzen, bzw. sich emotional nicht berührbar zu zeigen. Insofern dauert es 2 bis 4 Tage bis sich eine Gruppe auf diesen Entwicklungsschritt einlässt, um erst im Anschluss daran, überhaupt eine arbeitsfähige Struktur entwickeln zu können. Dies dauert wiederum gut 2 Tage.
  • In einem 5-tägigen Training kann es also durchaus passieren, dass das Ergebnis keine arbeitsfähige Gruppe ist – dennoch kann man davon ausgehen, dass der Lerneffekt hinreichend hoch sein dürfte, wenn während der ganzen Woche die Prinzipien der Selbstorganisations-Prozesse durchgearbeitet werden.

3. Führung, Gruppendynamik und Organisationsdynamik

Gruppendynamische Trainings sind ein Gegenentwurf zu eher kochrezeptartigen Beraterseminaren. So stellt sich nicht die Frage nach mehr oder weniger Führung, sondern es braucht eine «sich selbst bewusste Führung» die das Widersprüchliche und das Unvorhersehbare begrüsst und die Individualität und Selbstverantwortung der Mitarbeitenden als Chance begreift. In diesem Sinne werden fünf zentrale Kompetenzen trainiert:

  1. Konzentration auf blinde Flecken und Problemfelder, um sich darüber weiterzuentwickeln, anstatt einer Kultur des Blendens und Vertuschens zu frönen.
  2. Komplexität als Komplexität wahrnehmen, anstatt auf vereinfachende Interpretationen und schnelle billige Lösungen zu pochen.
  3. Sensibilität für und Vertrauen in die Selbststeuerungsfähigkeit von Gruppen, anstatt nur nach Schema «F» zu verfahren und hierarchische Strukturierung durchzupeitschen.
  4. Streben nach Unmittelbarkeit und Flexibilität, anstatt Pläne und Szenarien für alle (un-)denkbaren Möglichkeiten durchzuexerzieren.
  5. Respekt vor der Expertise anderer, anstatt fremdes Können zu unterdrücken und eigenes Wissen vortäuschen.

Auch wenn die Öffentlichkeit Führungskräfte gern als extrem erfolgreich ansieht, leiden diese oft an psychologischen Blockaden und glauben selbst nicht, dass sie ihren Erfolg verdienen:

  • Am verbreitetsten sind die Angst vor Misserfolg, Angst ein Hochstapler zu sein, Autoritätsprobleme, Perfektionismus, Aufschiebesyndrome, Konfliktvermeidung, Tyrannei und Arbeitssucht. Es gibt viele Leistungsträger, die glauben, sie seien lediglich absolute Blender: «Feeling like a fake». Wobei das Gefühl ein Blender zu sein, nur die Kehrseite der Begabung ist. All dies bringt viele talentierte und hart arbeitende Menschen dazu, sich zu fühlen, als würden sie sich durch ihr Leben «schummeln»
  • Was diesen Menschen hilft, ist die Möglichkeit, sich in einer sicheren Umgebung wieder einmal zu «erden» und neu zu orientieren. Ein ehrliches und unbestechliches Feedback zu erhalten, das in seiner Ungeschöntheit vielleicht erschüttern mag, kann letztlich vielmehr Trost als Schmerz mit sich bringen. Nur wer sich seiner Angst stellt, erhält die Chance sich davon frei zu machen.
  • Die Komplexität der Arbeitsprozesse, vor allem als Wissens- und Dienstleistungsarbeit, erfordert sowohl Spezialisierung als auch die Integration der unterschiedlichsten Expertisen. Hierzu benötigen Organisationen Gruppen, die ihre Anforderungen mitdenken und handhaben können, und die darüber zugleich eine eigene Identität ausbilden, um sich nicht in der Organisation aufzulösen.
  • Damit Spitzenteams solche Leistungsvorteile, wie gemeinsames Engagement, Partizipationseffekte, Identifizierung und Zufriedenheit erreichen, muss den sozialen Bedürfnissen der Gruppe und ihrer Mitglieder Rechnung getragen werden. Hierbei lassen sich zwei Steuerungsarten unterscheiden:
  1. Zweckbezogene Steuerung: Im diesem engen Führungs-Fokus geht es darum, wie die Gruppe am besten ein vorgegebenes Arbeitsziel erreicht. Das temporär Ziel und Funktionalität stehen im Vordergrund.
  2. Selbstzweckbezogene Steuerung: Wenn man darüberhinaus die Gruppe als handlungsfähigen, autonomen Sozialkörper konstituiert, dann werden zugleich auch Kategorien zugelassen, die dem Überleben, besser gesagt dem «guten Überleben» der Gruppe dienen. Normen, Verhaltensschemata und Beziehungen sind nicht nur auf Funktionalität und Kurzfristigkeit ausgerichtet.

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